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Jimmi D. Paesler

 

gehört seit Mitte der 1960er Jahre zu den wenigen “Farbfeldmalern”, die mit illusionistischen Mitteln die Geometrie zum Tanzen bringen. Die Bildarchitektur verfolgt ein verwandtes, doch immer wieder variiertes Prinzip:
Aus der Hintergrundfläche heraus entwickeln die jeweils dominierenden Einzelmotive einen Sog auf den Betrachter, wobei sie sich räumlich ‘zerdehnen’. Paeslers Ansatz fand seit den 60er Jahren viel Beachtung und Anerkennung; so konnte er sich 1967 hinter Gerhard Richter auf dem zweiten Platz des “Kunstpreises Junger Westen” in Recklinghausen platzieren. In fast allen Überblicksdarstellungen jener Jahre ist der Künstler vertreten. In den 70er Jahren malt Paesler in Bremen und anderen deutschen Städten Wandbilder, die international bekannt geworden sind. In dieser Phase erweitert er sein Repertoire um figürliche Motive, wodurch seine Kompositionen an Dynamik gewinnen. Seine Werke bleiben aber Ereignisbilder und Stillleben, die trotz aller optischen Täuschung nicht als eine Camouflage zu verstehen sind.

In ihnen verstecken sich keine inhaltlichen Absichten, sie sind nicht als Metaphern oder imaginierte mythische Räume zu sehen. Sie leben aus dem Gegensatz eines unschwer nachvollziehbaren Bildprozesses, dessen Gehalt assoziationsreich und rational nicht definierbar ist.

Die Bilder zum Thema “Bremer Poller”, die im Kunstverein Achim im Mai 2005 zum ersten Mal öffentlich zu sehen waren, erweitern das bisher beschriebene Kompositionsschema der letzten Jahre. Der Raum erstreckt sich nicht nur auf die vordere Bildebene, sondern öffnet sich auch nach hinten. Die Negativformen der sich aus den Wänden gelöst habenden Poller geben den Blick auf das Meer, auf den Himmel und den seitlich abfallenden Horizont frei. Der Bewegungsdrang nach vorn wird auf diese Weise beruhigt, und es entsteht ein durchbrochenes Gehäuse, das sich im Zustand einer Entfaltung zu befinden scheint. Der gekrümmte Horizont und die verkürzten Linien der Architektur ergeben eine widersprüchliche Raumfolge; man könnte von einer rätselhaften Ortlosigkeit sprechen.

Für Paesler sind Poller immer Hassobjekte gewesen, weil sie ihn – und wohl nicht nur ihn – an teure Karambolagen erinnerten. Er entschloss sich zu einer ‘künstlerischen Vereinnahmung’, wodurch der Hass zu Liebe, der passive Störfaktor zu einem handelnden Bildsubjekt wurde. Bewusst verändert der Künstler die runden Poller in eher flächige Objekte, die einen figuralen Charakter besitzen.(siehe Bild “Bremer Poller” ) im Mai 2006

Prof. Dr. Hans-Joachim Manske

Nüchterne Vorgänge – rätselhafte Verwandlungen

Zur Eröffnung der Ausstellung von Jimmi D. Paesler beim Neuen Worpsweder Kunstverein in den Räumen der Spedition Jan Klinckradt, am 22. Mai 2016

Im Jahr 1992 verlor ein Frachter aus Hongkong auf seiner Reise in die USA im Ostpazifik einige Container, gefüllt mit 29.000 Spielzeugtieren. Die Container gingen zu Bruch, so kamen die Plastikwesen frei und schwimmen seitdem auf allen fünf Weltmeeren herum, wohin die Strömung sie gerade treibt, nach Süden, bis Australien und Südamerika, in nördlicher Richtung durchs Beringmeer und Alaska. Einige froren im Packeis fest, andere strandeten, wieder andere wurden später im Nordatlantik gesichtet. Sonne und Meer bleichten ihre Oberfläche, manche blieben quietschgelb. Einigen sollen sogar azurblaue Kapitänsmützen gewachsen sein. Die reiselustige PlanschtierArmada inspirierte nicht nur Dichter, sondern auch Meeresforscher. Ornithologen wollen sogar geflügelte Quietsch-Entchen gesichtet haben… Jimmi Paesler ist seit langem ein engagierter Ozeanforscher und Marinemaler und maritime Rätsel, die gern leichtfertig als “Seemannsgarn” abgetan werden, faszinieren ihn. Die Abenteuer und Schrecken der Plastiktiere hat er in einer zauberhaften Serie von Gemälden festgehalten, deren Dramatik spielend an die Untergangs-Mythen der Titanic heranreicht.

Entencontainer-Detail

Der apokalyptische Sturz der Container in die feindliche Dünung, ganz zu schweigen vom Flüchtlingselend der von Hause aus heiteren, zutraulichen Flucht-Enten. Jimmi hat den psychischen Stress und die Strapazen der Tierchen auf ihrer Odyssee festgehalten. Zwischen den Frachtkartons der Spedition Klinckradt ist Jimmi eigentlich gut aufgehoben. Wer weiß, was in diesen Pappcontainern alles enthalten ist? Und was unterwegs verloren gehen kann? Paesler kommt eigentlich aus anderer, handfester, analoger Zeit: Als ich noch als Pfadfinder im bundesdeutschen Wald unterwegs war, malte er schon Straßenschilder. Eigentlich konsequent. Auf Holländisch heißt Schilderij ja: Malerei. Bilder sind Schilder. Ärmel aufkrempeln, den Pinsel in die Farbe tauchen, loslegen, fertig!

Jimmis Pinsel aber produzieren merkwürdige, nicht ganz reale Bilder, an der Bruchkante zwischen Realität und Märchen – seit Jahrzehnten. Jimmi studierte an der Bremer Kunstschule bei dem Maler Winfred Gaul. Und der malte damals Pop pur: knallige, plakative Kunst, harte Kanten, absurde Verkehrszeichen. Bei ihm war Jimmi genau richtig. Er und die Dinge sind seither in Bewegung geblieben. Im echten Leben und auf den Bildern. Für Jimmis Malerei gilt: Er entwickelt die Bilder und ihre Botschaften beim Malen: Ein Bild gibt das andere. Jimmi Paeslers Thema ist nicht nur das Bewegt-Sein, sondern eigentlich das Prozessuale, die Verwandlung. Aber er entwickelt es nicht abstrakt, sondern an greifbaren Beispielen. Das Personal seiner Bilder: Das sind Akteure der anderen, besonderen Art: Absurde Wesen, die ihr Unwesen treiben, indem sie sich selbständig machen. Mobile Versteinerungen, die den Weg ins Abenteuer gehen; das führt zu unruhigen Verkehrsberuhigungen: Poller-Männer, die wie Halma-Steine ins Spiel kommen.

Sie lösen sich aus irgendwelchem Urmaterial, nehmen Gestalt an, entwickeln Profil und absurdes Eigenleben: Vorsicht! Sie springen schon mal aus dem Bildraum, marschieren darin herum, sie tauchen ein in blaue Gewässer, Brei, Matschepampe. Sie fahren zur See oder halten Wacht am Deich. Die Poller-Männer brechen gern aus, ins Freie, wo die Nordsee-Wellen schlagen an den Strand, wo große Wasserflächen locken, und weiter draußen nachts hübsch beleuchtete Container-Schiffe in Richtung Weltmeer unterwegs sind. Ja, diese Landratten stechen sogar in See, mutieren von Halma-Steinen zu bunten Lateraltonnen, gemusterten Bojen, eigensinnigen Schiffahrtszeichen. Schilder besonderer Art, Malerei besonderer Art. Jimmi lässt an der Wasserkante merkwürdig surreale Dinge passieren. Befremdliche Vorgänge im Dämmerlicht, Form und Inhalt verwandeln sich. Jimmis heitere, manchmal etwas gruseligen, gemalten Metamorphosen nehmen vor unseren Augen Gestalt an. Hokuspokus, das Bild wird zur Zauber-Bühne; Jimmis Phantasie zwinkert mit den Augen. Er spielt aber nicht nur mit Formen und Farben, mit Geometrie und verwackeln Gestalten, mit Positiv und Negativ. Er macht auch ästhetische Ausflüge ins Reich der Politik. Da sitzt – hübsch realistisch gemalt – Angela Merkel in einer Fischerhütte auf Rügen mit Leuten in Ölkleidung zusammen, aber keiner schaut sie an. Kein Wunder, das war 1990, da war sie ja nur Kohls “Mädchen”.

Merkel in der Fischerhütte, Detail

Dann fällt sie uns als Kanzlerin aus einer Klappe mit Eurosternen entgegen, mit schwarz-rot-goldenen Ärmelschonern, so dynamisch, dass uns die Euro-Sternchen vor den Augen tanzen. Wir schaffen das! Gleich daneben Wladimir Putin, ein bedrohtes KulturerbeKoala-Bärchen auf dem Arm. Er will es retten, steckt aber selbst bis zum Bauch im Korruptions-Sumpf. Jimmi experimentiert gern, mit politischen Gespenstern, ästhetischen Leuchttürmen und: mit Selbstbewusstsein: Picasso – Putin – Paesler, das ist ihm eine plausible Steigerung auf “P”! Und er steigert Farben. Ich fragte ihn, was Schwarz für ihn bedeutet: Er sagte: Schwarz ist nicht nur das Ende der Farbigkeit, sondern „Zustand der Unendlichkeit“. Schwarz ist Weltraum: Unermesslichkeit, Weite, Tiefe. Schwarz steht auf seinen Bildern für jene Universumsgegenden, die man „Schwarze Löcher“ nennt. Aber seine Bildern haben keine Löcher. Die Unendlichkeit grenzt unmittelbar ans Hier und Jetzt. Der riesige Kosmos klappt wie durch einen kleinen Zauber-Pinsel-Trick um ins Kleine, Übersichtliche, Alltägliche, also: ins Anfassbare, Erfassbare. Die Bild-Gegenstände vertragen sich mit dem Schwarz, sie schmiegen sich ihm an, ja, müssen sich gegen den Sog der samtenen Schwärze richtig anstemmen.

Aber sie behaupten sich, gehen nicht unter – wie auch die Entchen. Jimmi arbeitet mit Schatten, mit farbigen Graus, in allen Schattierungen vermittelt er zwischen den Farben, malt sinnliche Übergänge, Fußgängerbücken fürs Auge, verkehrsberuhigte Zonen. Diese entleerten, ruhigen Räume machen den Betrachter nachdenklich: Manchmal fühlt man sich fast wie eingesperrt ins Abseits auswegloser, absurder Situationen; das Auge sucht nach Fluchtwegen. Doch die Räume öffnen sich immer wieder, entweder in die Bildtiefe hinein, hinaus aufs Meer oder den Betrachter zu. Dieses Vor und Zurück macht Jimmis Bilder dynamisch, öffnet den Blick, überredet zuerst die skeptische Vernunft und beruhigt bald auch das Herz des Betrachters. Aus Flächen werden Räume, verwerfen und wölben sich, klappen auf in neue Bedeutungsfelder. Hartes wird weich, Geronnenes, Mineralisches schmilzt wie Wachs an der Sonne. Enges wird weit, als ob ein Bann bricht beim Hinschauen. So wird man immer wieder daran erinnert: Dies alles ist ja nicht die Wirklichkeit, sondern „nur“ Malerei! Aber stimmt das wirklich? Es könnte ja auch ganz anders sein, wenn wir gerade nicht hinschauen.

Die Vorgänge sind ja nur so, weil wir sie so sehen. Wir könnten sie auch anders betrachten, dann wären sie anders. Die Bierfässer hinter dem großen Bogen-Fenster, die eben noch ordentlich in Reih und Glied übereinander gestapelt ruhten, spielen plötzlich verrückt, geraten in Bewegung, drücken hinaus ins Freie, hupfen durch Fenster und kullern uns vor die Füße. Wir müssen sie eigentlich nur noch anzapfen. Dieses mutwillige Rollenspiel zwischen Schein und Sein, womit Jimmi die scheinbar unbelebten Dinge zu heimlichem Leben erwachen lässt, das ist es, was seine Bilder so heiter, so erfrischend macht. Malen als Pokerspiel. Freilich spielt der Maler mit gezinkten Karten. Er legt uns die Zukunft aus, wie er will. Doch wir nehmen ihm nicht übel, was er uns etwas vorgaukelt. Jimmis Bilder geben einen Vorschein auf mögliche Vorgänge, auf Verwandlungen, nach denen wir uns alle sehnen, auf Umformungs-Prozesse, die wir ahnen, vielleicht sogar ein bisschen fürchten, aber doch irgendwann herbeiwünschten, wenn wir sie uns denn vorstellen könnten.

Hier liegt das Utopische der Kunst: Sie formt bisher Ungedachtes täglich ein Stückchen neu. Sie stellt Fragen, wo wir keine Antworten mehr haben. Sie hat eine Alternative, wo alle Welt davon spricht, dass es keine gäbe. Sie stellt hellsichtig in Aussicht, was mit bloßem Auge nicht zur Ansicht kommen kann. Am Anfang sagte ich: Jimmi Paesler kommt eigentlich aus anderer, analoger Zeit. Er kommt aus jener geistigen Gegend, die uns heute geradezu märchenhaft anmutet: Aus dem altmodischen Bezirk des ästhetischen Denkens, wo man noch über Raum und Welt verfügt, wo man noch Zeit hat. Zeit zum Grübeln, Zeit zum Träumen, Zeit zum Spielen. Das Spielerische und die Muße fehlen uns heute allenthalben, trotz der vielen digitalen und Videospiele, mit denen wir unsere Zeit totschlagen.

Jimmis Bilder schlagen die Zeit nicht tot; sie locken sie hervor, sie überreden uns, ihnen ein Stück Zeit zu schenken, Zeit, die wir brauchen, uns in sie hineinzusehen – das ist der Vorteil des Analogen. Insofern fällt der Maler Jimmi Paesler natürlich – Gott sei dank – ganz und gar aus dieser unserer Zeit. Er ist ein Märchenerzähler, der uns Zeit schenkt, wenn wir richtig zuhören, nein: hinschauen!

Rainer B. Schossig